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Der Kinokult-Rückblick auf das Coronajahr 2020

Liebe Kinobegeisterte,
liebe ausgehungerte Kinofans!

Es ist inzwischen Mai 2021, wir befinden uns weiterhin im Lockdown, die Kinos sind geschlossen und die Innenstädte verwaist. Wenn wir Ihnen hier schon kein neues Filmprogramm anbieten können und Ihnen auch nicht sagen können, ab wann wir die Kinos wieder öffnen dürfen, so wollen wir wenigstens die Gelegenheit nutzen, einen Blick zurück auf das vergangene Jahr zu werfen – ein Jahr mit vielen Tiefen, aber zum Glück auch einigen Höhen.

Das Virus legt alles lahm

Letztes Jahr um diese Zeit mehrten sich die Meldungen über ein neues Virus, welches in der Stadt Wuhan im fernen China außer Kontrolle zu geraten schien. Damals schon konnte man ahnen, dass aus der regionalen eine globale Krise werden könnte, die uns bald alle etwas angehen würde. Aber so richtig wahr haben wollte das noch niemand… doch schließlich ging alles ganz schnell.

Dass die Kinos würden schließen müssen zeichnete sich schon Wochen vorher ab, konkret wurde dies dann am 16. März 2020. Wir machten uns an die Aufräumarbeiten: Termine absagen, Kinoausstattung einmotten, Lager aufräumen, Filme zurückschicken, Schaukästen umhängen …

Hilfe und Solidarität

Sehr gefreut hat uns die unkomplizierte Hilfe seitens der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg – beide Institutionen haben die Kinoprogrammprämien für das Vorjahr noch einmal um 50% aufgestockt. Auch die Corona-Hilfszahlung des Landes konnten wir rasch in Anspruch nehmen und viele Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. All diese Hilfsmaßnahmen zusammen haben uns im Frühjahr 2020 durchaus Luft verschafft.

Sehr viel Solidarität haben wir auch vom Publikum erfahren – immer wieder trafen über die Schließmonate große Gutscheinbestellungen ein, oft kommentiert mit den allerbesten Wünschen und Durchhalteparolen, das waren wertvolle Zeichen der Anteilnahme und Unterstützung, die uns sehr gut getan haben.

Wir konnten wieder öffnen unter ganz neuen Bedingungen

Gebannt warteten und hofften wir im Mai auf Lockerungen und auf Signale, ab wann ein Kinobetrieb wieder möglich sein würde – und unter welchen Bedingungen. Anfang Juni war es dann soweit – die Infektionszahlen machten es möglich, die Kinos durften wieder öffnen. Da wir nichts überstürzen und auch mit den richtigen Filmen starten wollten dauerte es bei uns noch ein paar Wochen, bis wir dann mit Hygienekonzept, Abstandsregelungen, Schutzwänden und Bodenmarkierungen unser Caligari-Kino wieder öffnen konnten; gezeigt wurde Christian Petzolds „Undine“. Mitte Juli öffnete dann auch das Luna wieder mit der Publikumspremiere von Burhan Qurbanis „Berlin Alexanderplatz“, der vom Produzenten Jochen Laube und seinem Filmteam persönlich vorgestellt wurde.
Dies waren nur zwei von vielen besonderen Filmen, die im Corona-Sommer leider längst nicht so viele Zuschauer erreichen konnten, wie sie es verdient gehabt hätten.

Sommernachts-Open-Air-Kino mal ganz anders

Ab Mitte Juni wurde es immer konkreter, dass Veranstaltungen bis 500 Besuchern ab August wieder genehmigt werden können – das gab uns Hoffnung und Energie, eine verkleinerte Ausgabe des Ludwigsburger Sommernachtskinos organisieren zu können. Wobei uns auch hier die Kalkulation einiges Kopfzerbrechen bereitete, denn der Aufwand ist auch „in klein“ ziemlich groß. Einiges haben wir deswegen grundlegend ändern müssen für die Corona-Ausgabe: die Veranstaltung wurde von 18 auf 30 Abende verlängert, es gab feste Sitzplätze, damit die vorgeschriebenen Abstände eingehalten werden konnten, der Ticketverkauf erfolgte fast ausschließlich online und die Filme wurden erst nach und nach veröffentlicht.

Sommernachts Open Air Kino 2020
Foto: ©Reiner Pfisterer

Mit viel Fleiß und einer ordentlichen Portion Glück wurde das Open Air Kino in Ludwigsburg trotz der Beschränkung auf 500 Plätze ein großer Erfolg.
Wir konnten damit ein echtes Ausrufezeichen in die Ludwigsburger Kulturlandschaft setzen – es gab ja sonst kaum Angebote, Weinlaube, Schlossfestspiele, Stadtfeste – sehr viel war abgesagt worden und nur wenige Kultureinrichtungen boten überhaupt noch Programm an (unter anderem unsere Kollegen von Theatersommer und Scala).
Die vielen Corona-Auflagen und die veränderte Platzlogistik stellten große Herausforderungen in der Planung dar, wir mussten viel improvisieren und auch investieren: 200 wiederverwendbare Masken wurden angeschafft, ebenso 200 Klemmbretter zum Ausfüllen der Kontaktformulare. Desinfektionsmittel und -spender wurden aufgestellt, große Aushänge angefertigt, Boden-Abstandsmarkierungen in Druck gegeben und angebracht. Für maximal 500 Besucher wurden 1.400 Kinostühle aufgestellt und mit Platznummern versehen, damit wir für die Kontaktverfolgung und zur Umsetzung der Abstandsregelung jedem Besucher eine Platzkarte verkaufen konnten.
Die Verlängerung auf 30 Abende war ein Kraftakt für uns, der August belohnte uns dafür mit tollem Sommerwetter (bei kleinen Ausnahmen, vor allem das letzte Wochenende…), und das Publikum nahm die Veranstaltung mit offenen Armen an: es gab viel Lob für Umsetzung der Hygiene- und Abstandsregelungen, der online-Ticketverkauf wurde fleißig genutzt, die Maskenpflicht bis auf wenige Ausnahmen eingehalten, die Kontaktformulare ausgefüllt. Man konnte sich wohlfühlen in der Karlskaserne, und ein abwechslungsreiches Filmprogramm (ohne Wiederholungen!) ist uns außerdem gelungen.

Sommernachts Open Air Kino 2020

Ein großer Dank!

Es ist uns eine besondere Freude, uns an dieser Stelle noch einmal herzlich bei allen zu bedanken, die sich im diesjährigen Open Air Kino engagiert haben! An die Ehrenamtlichen, das Orga-Team, die Ordner, die Tagwache, die Mitarbeiter an den Ständen, die Vorführer, die Veranstaltungsleitung, die DJ, die Auf- und Abbauer, die vor allem beim Aufbau wieder die heißesten Tage des Jahres auf dem Asphalt der Karlskaserne durcharbeiten mussten.
Ganz besonders gefreut hat uns auch, dass viele unsere langjährigen Gastronomie-Partner mit uns das Wagnis eingegangen sind und dazu beigetragen haben, dass das kulinarische Angebot auf dem Platz wie immer sehr gut war. Ein herzliches Dankeschön deswegen auch Christoph Rieger und Britta Graf vom Gasthaus Allgäu, an das Team von Eis Olivier und Cocco-Bello, sowie Snackmaker, die den Popcorn- und Nachoverkauf organisiert haben. Leider nicht dabei sein konnten andere, langjährige Partner: das Team von der Cocktailbar, der Crepesverkauf und das indische Essensangebot von Taj Mahal – wir hoffen auf 2021.
Ebenso ein herzliches Dankeschön an die Verantwortlichen der Stadt Ludwigsburg, die uns den Genehmigungsprozess so einfach und unbürokratisch wie möglich gestaltet haben, ohne dabei die Sicherheit zu vernachlässigen; an Jochen Raithel und das Team des Kunstzentrums Karlskaserne, die uns wie immer gute, unkomplizierte Gastgeber waren; an unseren Hauptsponsor, die Stadtwerke Ludwigsburg-Kornwestheim und alle anderen Sponsoren, die uns in diesen schweren Zeiten die Treue gehalten haben. Ein großer Dank gebührt auch unseren Logistik- und Technikpartnern, der Agentur Pulsmacher, der Firma Lautmacher für die Erstellung der Sicherheits- und Hygienekonzepte und natürlich den 2Oscars für die gewohnt exzellente Kinotechnik in Bild und Ton. Und abschließend ein kleiner Dank an den Virus, dafür, dass er einen großen Bogen um unsere Veranstaltung gemacht hat.

Leider kein Fellbacher Open Air Kino

Schweren Herzens haben wir aufgrund der Enge des Platzes beschlossen, das Fellbacher Open Air Kino auszusetzen, um dann im Jahr 2021 hoffentlich wieder unter besseren Bedingungen unsere dreißigste Auflage feiern zu können.

Auf das Sommernachts Open Air Kino folgte ein – leider nur kurzer – Kinoherbst.

Mit frischem Schwung und Rückenwind aus dem Open Air Kino machten wir uns im September an die Wiedereröffnung der Kinos Orfeo und Luna, die beide lange in Sommerpause waren, das Orfeo war sogar seit März geschlossen geblieben. Und auch im Scala konnten wir wieder einzelne Kinotage anbieten. Natürlich mussten weiterhin die vorgeschriebenen Hygienekonzepte und Abstandsregelungen umgesetzt werden – wobei vor allem die Abstandsregelung von 1,50 Meter zum Nebensitzer Probleme bereitete, da so nur eine Auslastung von 20-30% möglich war.
Wir hatten uns vorgenommen, auch unter diesen schwierigen Voraussetzungen ein möglichst abwechslungsreiches Programm anzubieten und auch unsere erfolgreichen und etablierten Programmreihen fortzusetzen. Das erwies sich teilweise als schwierig – das Treffpunkt Kino, welches sich an Senioren richtet, musste weiter pausieren, genauso wie das Gourmet Cinema, welches an den Abstandsregeln scheiterte. Und obwohl vereinzelt Lehrer Interesse signalisierten, kamen auch keine Schulvorstellungen zustande, da solche außerschulische Aktivitäten nicht genehmigt wurden. Das traf uns vor allem hart, weil wir so weder die Britfilms im November noch die Cinefete im Januar anbieten konnten, unsere zwei sehr erfolgreichen „Schulkinowochen“.

Highlights waren die DOK-Premieren, von denen wir immerhin drei im September/Oktober umsetzen konnten – zu den Filmen „Schlingensief“, „Höhenflüge“ und „Space Dogs“ waren jeweils die Filmemacher zu Gast. Die Nachfrage war so groß, dass wir die Filme jeweils in zwei Vorstellungen (nachmittags/abends) gezeigt haben.

DOK-Premiere im Caligari
DOK-Premiere im Caligari

DOK-Premiere im Caligari - Foto: ©Günther Ahner

Ab dem 2. November ruht der Kinobetrieb wieder, der zweite Lockdown zieht sich hin, die Maßnahmen wurden sukzessive noch verschärft und aktuell bis Mitte März verlängert. Wann es endlich wieder möglich sein wird, Kino anzubieten, ist noch völlig unklar.

Und was jetzt?

Wir stehen bereit und freuen uns darauf, wenn es endlich weitergehen kann in den Kinos – natürlich wünschen wir uns sehr, dass die strengen Abstandsregeln gelockert werden und dass es möglichst keine Maskenpflicht im Saal gibt.

Sehr zuversichtlich sind wir, dass auch in diesem Jahr ein erfolgreiches Open Air Kino in Ludwigsburg möglich sein wird, wenn die Corona-Zahlen im Sommer es zulassen. Natürlich hoffen wir auf weniger Auflagen und ein höheres Besucherlimit, aber das wird sich alles erst zeigen. Außerdem haben wir uns fest vorgenommen, dieses Jahr wieder ein Open Air Kino in Fellbach auf die Beine zu stellen.

Das Pantoffelkino träumt von großen Fußstapfen

Die gesamte Kinoszene steht weiterhin vor schwierigen Zeiten. Der Trend zum Film-Streaming zu Hause dürfte durch die Coronakrise verstärkt worden sein. Wie viele Besucher haben wir dauerhaft an die heimische Couch verloren?

Einige Filmverleiher und -produzenten haben angefangen, ihre fürs Kino produzierten Filme direkt dem Streaming zuzuführen – zum Teil aus reiner Not. Auch in Zukunft könnte es Situationen geben, in denen Filme zeitgleich in den Kinos und als Video-on-demand angeboten werden. Die Rolle der Kinos als Erstaufführer ginge dadurch verloren. Was so manchem Couchpotatoe möglicherweise gefallen würde, brächte eine Lawine ins Rollen an deren Ende sich kein Film mehr aus einem unüberschaubar großen Strom an laufenden Neuveröffentlichungen hervortun würde.

Trotzt das Kino den Streaming-Kriegen?

Liest man im Feuilleton über Filme, dann sind dies seit Monaten nur noch Neuerscheinungen auf Netflix, Amazon & co. Wie wird das den Markt verändern, wie das Sehverhalten?

Ein regelrechter „Streaming-Krieg“, den sich die Internet-Giganten mit der Hollywood-Filmindustrie um Marktanteile und -vorherrschaft liefern, droht das Kino zu zerreiben. Hollywoodstudios sehen sich vom Filmanbieter Netflix derart herausgefordert, dass sie selbst entsprechende Kanäle aufbauen. Um mehr attraktive Filme anbieten zu können, werden dabei auch schon mal ganze Filmstudios gekauft. Zuletzt traf es die traditionsreiche 20th Century Fox, die vom Disneykonzern übernommen wurde. Uns Programmkinos ist der Zugang zu den interessanteren Fox-Filmen seitdem erschwert.
Und überhaupt: wie kann es sein, dass der Internetdienst Netflix, der auf Schulden in Milliardenhöhe aufgebaut ist, einen so großen Einfluss auf die reale Filmwirtschaft nehmen kann? Ist es o.k., wenn mit Risikokapital bewusst versucht wird, bestehende und funktionierende Strukturen zu zerstören, um sich danach einen großen Teil vom Kuchen selbst zu sichern?

Werden die zahlreichen kleinen, mit großem persönlichem Engagement betriebenen Filmverleiher überleben können? Werden sich außergewöhnliche Filme gegen die geballte Werbemacht der großen Verleiher noch durchsetzen können? Werden sich die deutschen Kinofilme aus der Umarmung der öffentlich-rechtlichen Senderredaktionen befreien können, von denen sie fast alle finanziell abhängig sind? Zu wünschen wäre dies. Auf dass die Stoffe und ihre Umsetzung auch mal mutiger und diverser werden.

Viele Fragen, auf die noch niemand die Antworten kennt.

Vielleicht hilft es, sich auf das Wesentliche zu besinnen: das Kino ist und bleibt ein magischer Ort! Eine Stätte der Begegnung, des gemeinsamen Filmerlebens, der Entdeckungen. Es hat seinen festen Platz im kulturellen Leben, und wird nur noch an Bedeutung hinzu gewinnen, wenn sich in den Innenstädten das Ladensterben fortsetzt.
Deswegen lassen wir uns weiterhin nicht entmutigen – auch wenn das Jahr 2021 sicher kein leichtes werden wird. Wir glauben an die Kraft und die Bedeutung des Kinos und freuen uns sehr darauf, Sie alle bald wiederzusehen – ob im Caligari, im Luna, Scala oder Orfeo!

Film endlich! ab.